Der Letzte des jeweils anderen sein – Ein Buch, nicht nur für einen Tag am Meer

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Zu Grégoire Delacourts Romanen greife ich ja hier und da mal recht gerne. Versprechen sie doch zuverlässig ein sinnliches, intensives und wundervoll poetisches Lesevergnügen. Auch wenn die jeweiligen Cover teilweise über den Inhalt etwas hinwegtäuschen. So auch in diesem Fall. Denn das Cover, obwohl unzweifelhaft sehr schön gestaltet und sehr passend zu Titel und Handlungsort, kann doch den unvorbelastet zu Delacourt greifenden Leser etwas in die Irre führen und ihn fälschlicherweise eine locker, leichte und spritzige Sommerlektüre erwarten lassen. Doch dies, locker und leicht, sind die Bücher, des 1960 in Valenciennes, im Norden Frankreichs, geborenen Autor, gerade nicht. Vielmehr stimmen seine Texte zutiefst nachdenklich und berühren den Leser in ihrer sprachlichen Schönheit, die sich zugegeben manchmal gefährlich dem Randes des Kitsches nähert, aber eben nur nähert.

Gezielte Brüche als emotionsgeladenes Stilmittel

Ja, die poetische Sprache des Autors, für die ihn seine Fans so lieben, ist schon manches Mal beinahe etwas zu dick aufgetragen, etwas zu pathetisch, etwas zu melancholisch und doch liebe ich Delacourts Romane, genieße die Bücher, jedes einzelne (zuletzt „Alle meine Wünsche„). Denn da sind diese Brüche, da geht aus Melancholie und Verträumtheit plötzlich eine überraschende Schamlosigkeit hervor, eine, insbesondere an diesen Stellen, unerwartete Direktheit. Da werden aus herzerwärmenden Liebesbekenntnissen, kein Blatt vor den Mund nehmende sexuelle Eingeständnisse. Ein emotionsgeladenes Spannungsfeld, das die Lektüre zu einem Lesegenuss macht, wenn auch zu keinem leichten, dazu sind die Themen viel zu ernst. So auch in seinem neuesten Buch, in dem es um Liebe und Einsamkeit geht. Um die Grundangst jedes Menschen, der Angst vor dem Alleinsein.

„Die vier Jahreszeiten des Sommer“ oder sollte man besser der Liebe sagen…

In seinem neuesten Buch „Die vier Jahreszeiten des Sommers“ entführt uns der Autor an die wunderschöne Atlantikküste. Genauer gesagt nach Le Touquet. Es ist Sommer. Wir schreiben den 14. Juli 1999. Es ist der französische Nationalfeiertag, noch dazu der letzte des ausgehenden Jahrhunderts. Doch während die Menschen ausgelassen feiern, treffen am Strand vor wunderschöner Kulisse 4 Paare aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Da sind Louis und Victoria, die ihre erste junge und zarte Liebe durchleiden, die 35-jährige Isabell, die einer Jugendliebe nachtrauert und eine neue sucht, die 55-jährige Monique, Hausfrau und Mutter, die ihrem Leben und er Liebe zu neuem Schwung verhelfen will (natürlich bleiben die beiden Damen nicht lange alleine) und Rose und Pierre, die sich seit mehr als 50-zig Jahren jeden Tag aufs Neue begegnen und nun an diesen Strand kommen, um ein altes Versprechen einzulösen. Vier Paare, vier Schicksale, vier Geschichten. Erzählt in vier kunstvoll miteinander verwobenen Episoden. Vier unterschiedliche Begegnungen mit der Liebe, dies sich zwar kreuzen, aber niemals richtig berühren. Eine jede schöner und bewegender als die andere. Mal traurig melancholisch, mal verwirrend und überraschend.

Und wir, die Leser, dürfen ihnen dabei zusehen, als stiller Beobachter im Hintergrund. Wie ein Vogel aus großer Höhe…

…und eine Melodie, die alles begleitet, alles durchdringt!

„In jenem Sommer sang Francis Cabrel Hors Saison, und alle sangen Cabrel.“ BUCHZITAT

So der erste Satz des Buches und mit diesem gibt uns der Autor die Grundmelodie des Buches an die Hand, den Takt der Handlung vor. Dieses Lied soll uns auch bis zum Ende des Buches hin begleiten. Die Melodie eines ganzen Sommers, die sich wie ein roter Faden sanft durch das gesamte Buch zieht, wie eine laue Brise am Strand, erfrischend und abkühlend zugleich. Und wie der Refrain des Liedtextes, so wiederholen sich auch bestimmte Motive des Buches ganz gezielt wieder, lassen sich in den einzelnen Episoden wiederfinden und schaffen somit eine Verbindung zwischen den einzelnen Figuren, den einzelnen Handlungensträngen, runden den Roman ab.

Und wer nun meint, dieses Buch muss ja unglaublich dick sein, der irrt sich. Die gesamte Handlung spielt sich auf knapp 180 Seiten ab. Delacourts Bücher sind nie dick, aber gehaltvoll. Und so steht auch am Ende dieses kleinen Büchleins eine große Erkenntnis:

„Es ist immer die gleiche Geschichte, in Krieg- wie in Friedenszeiten, sommers wie winters, alles dreht sich um das übergroße Bedürfnis, nicht allein zu sein.“ BUCHZITAT

Nun bleibt dem Autor nur zu wünschen, dass er nicht erneut verklagt wird!

Hier noch eine kleine Anekdote zum Schluss: Delacourt hat eine spezielle Angewohnheit. Wie vielleicht so manch anderer Autor auch, sieht er seine Figuren vor sich, verleiht ihnen die Gesichter von real, existierenden Menschen, von Schauspielern genauer gesagt. Der Unterschied zu den anderen seiner Zunft: Er benennt sie auch im Buch beim Namen, zieht Vergleiche, ja, manches Mal geht er gar soweit, sie in die Handlung miteinzubeziehen. Dies wurde ihm schon bei „Im ersten Augenblick“ zum Verhängnis. Damals verklagte ihn Scarlett Johansson (wen der Fall interessiert, hier ein Link). Und auch in „Die vier Jahreszeiten des Sommers“ zieht er wieder seine Vergleiche. Doch dieses Mal scheint er vorsichtiger geworden zu sein, so hat er nur Namen von längst verstorbenen Schauspielern ausgewählt, doch man weiß ja nie, auch Tote haben schließlich Verwandte….

Hier noch ein weiterer, sehr empfehlenswerter Roman des Autors:

©Atlanik Verlag

©Atlanik Verlag

Der Longseller jetzt in einer wunderschönen Sonderausgabe

Grégoire Delacourt
Alle meine Wünsche
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
128 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-455-60018-6
15,00 €

 

2 Gedanken zu „Der Letzte des jeweils anderen sein – Ein Buch, nicht nur für einen Tag am Meer

  1. Zweiter Kommentierversuch heute. Also bisher traute ich mich nicht so recht an französische Autoren. Blondel und Musso haben mich dieses Jahr zum Glück eines besseren belehrt.
    „Die vier Jahreszeiten des Sommers“ wurde mir dank deiner Rezension nun auch schmackhaft gemacht. Poetische Sprache mag ich und für Melancholie in Büchern bin ich auch immer zu haben. Das Buch wandert daher auf die Wunschliste.

    • Liebe Auroria,
      der zweite Versuche hat geklappt. Blondel und Musso finde ich persönlich auch ganz klasse. Wenn Dir poetische Sprache und eine gewisse Melancholie gefällt, dann bin ich mir sicher, dass Delacourt auch ein Autor nach Deinem Geschmack ist. „Alle meine Wünsche“ ist auch noch ein ganz wundervolles Buch von ihm.
      Ganz liebe Grüße, Heike

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