Die Zweisamkeit der Einzelgänger – Joachim Meyerhoff lässt die Toten noch einmal hoch fliegen

Joachim Meyerhoff zählt zu den erfolgreichsten Theaterschauspielern seiner Generation. Erst im September wurde er erneut von der Fachzeitschrift Theater heute zum Schauspieler des Jahres 2017 gewählt. Meyerhoff kann aber nicht nur spielen. Er schreibt auch. Und wie. Seine autobiografischen Texte sind zum Lachen komisch und zum Weinen traurig. Auch bei „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ möchte man am liebsten die Türe schließen, ein „Bitte nicht stören“-Schild aufhängen. Untertitel: „Lese gerade Meyerhoff. Bin gerade in einer anderen Welt.“

Auch in seinem nunmehr vierten und wie es aussieht leider vorläufig letzten Band der Reihe „Alle Toten fliegen hoch“ nimmt uns Joachim Meyerhoff erneut mit auf seine autobiografische Reise in die eigene Vergangenheit. Keinem anderen Autor der letzten Zeit gelingt es so gekonnt, unglaublich traurige Momente in urkomische nahezu fließend übergehen zu lassen. Man lacht, man weint und möchte das Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen. Emotion pur, das sind die Romane von Meyerhoff. Szenen seines Lebens und wundervolle Momentaufnahmen seiner Lieben, der Lebenden und der Toten, getaucht ins Sepia der Vergangenheit und koloriert durch den Lauf der Zeit, der so manches Mal den Blick schärft, aber auch mit etwas Abstand auf die Dinge, das Geschehen mit etwas anderen Augen betrachten lässt, mit älteren, mit erwachseneren.

Texte zum Lachen komisch und zum Weinen traurig

Durften wir im ersten Band der Reihe „Alle Toten fliegen hoch. Amerika“ den Austauschschüler Joachim auf seiner abenteuerlichen Reise hinaus aus der Provinz der kleinen Stadt Schleswig im Norden Schleswig-Holsteins, hinein in die große weite Welt begleiten, um schlussendlich in der ländlichen amerikanischen Idylle Wyomings zu landen. Stand in „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ seine Kindheit hinter den Mauern einer psychiatrischen Klinik in der Kleinstadt Schleswig, in der sein Vater Direktor war, im Mittelpunkt, an dessen Ende man sich fragt, wer denn hier eigentlich die Normalen sind, die Insassen oder die anderen? Tranken wir uns in „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ kultiviert mit den absolut wundervollen und unvergesslichen Großeltern durch den Alltag an der Schauspielschule in München. Fragt man sich doch, was kann jetzt noch kommen?

Viel kann ich dazu nur sagen. Denn in „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ verschlägt es Joachim Meyerhoff nicht nur an die Bühnen der Theater von Bielefeld und Dortmund, entwickelt sich ein Rattenkauf zu einem Anschlag auf die Lachmuskulatur, spielt nicht nur ein Medikament mit dem vielsagenden Namen „HALLOO WACH“ eine nicht ganz unbedeutende Rolle, nein, vor allem geht es um die erste große Liebe, bzw. im Fall unseres leicht zu verunsichernden aber sehr ambitionierten Jungschauspielers Lieben. Ja, richtig gelesen „Lieben“ – Mehrzahl. Da wäre zum einen die etwas wirre, aber hochintelligente Studentin Hanna, zum anderen die Gazellen gleiche und lebensfrohe Tänzerin Franka, die auf keiner Party fehlen darf.

„Mit Hanna wollte ich leben, mit Franka zusammen sein.“ (S. 267)

Als dann noch etwas später die Bäckersfrau Ilse hinzukommt ist das Chaos perfekt. Turbulenzen vorprogrammiert. Als geneigter Leser schnallt man sich besser an.

Doch was macht die Bücher des Autors so besonders? Seine Lesungen so Hörens- und Sehenswert?

Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen, da ist einfach ein Mensch wie Du und ich, mit all seinen Stärken und Schwächen, seinen persönlichen Erfahrungen und zugegeben, seiner nicht ganz so alltäglichen Familiengeschichte, und erzählt dir wie einem alten Freund von komischen, skurrilen und teilweise sehr traurigen, aber auch sehr intimen Momenten. Und Szene für Szene, Zeile für Zeile, Wort für Wort schreibt er sich mehr und mehr ins Herz seiner Leser. Joachim Meyerhoff lesen ist einfach Kult. Und jedes seiner Bücher wie ein kleiner Schatz.

Man sagt ja immer, dass eine Person erst dann tot ist, wenn man nicht mehr an sie denkt. Joachim Meyerhoff denkt nicht nur an seine Toten und trägt sie tief in seinem Herzen bei sich, nein, er setzt ihnen auch mit seinen Büchern ein literarisches Denkmal. Lässt sie auf jeder Seite, auf Papier, in den Köpfen seiner Leser wieder auferstehen und zu unvergesslichen Protagonisten seiner ganz persönlichen und höchsteigenen Lebensgeschichte werden. Nun auf der letzten Seite des vierten Bandes angelangt scheinen sie zu schweigen. Ob sie dies für immer tun? Nun wer weiß schon so genau was kommen wird und vielleicht dürfen wir uns ja doch irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft über ein neues Buch freuen. Bis dahin vielen Dank erst einmal an Joachim Meyerhoff, dass er seine Erinnerungen mit uns geteilt hat, die lustigen, ebenso wie die schönen und die traurigen. Danke für all diese unvergesslichen Momente.

„Alle Toten fliegen hoch.“

 


VITA. DES AUTORS

Joachim Meyerhoff, geboren 1967 in Homburg/Saar, aufgewachsen in Schleswig, ist seit 2005 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. In seinem sechsteiligen Zyklus »Alle Toten fliegen hoch« trat er als Erzähler auf die Bühne und wurde zum Theatertreffen 2009 eingeladen. 2007 wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt. Für seinen Debütroman wurde er 2011 mit dem Franz-Tumler-Literaturpreis und 2012 mit dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis ausgezeichnet. Im September 2016 erhielt er den Nicolas-Born-Debütpreis, den Euregio-Schüler-Literaturpreis, im Januar 2017 die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz. Im Mai 2017 wurde Joachim Meyerhoff in der Sektion Darstellende Kunst in die Akademie der Künste aufgenommen und von der Fachzeitschrift Theater heute im September zum Schauspieler des Jahres 2017 gewählt. Weitere Titel bei Kiepenheuer & Witsch: »Alle Toten fliegen hoch. Amerika«, Roman, 2011, »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war«, Roman, 2013, »Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke«, 2015.

 

FAKTEN. ZUM BUCH

Verlag:                     Kiepenheuer & Witsch                                            ISBN:                       978-3-462-04944-2                                                                  Format:                    416 Seiten, gebunden mit SU                                                Erschienen am:       09.11.2017                                                           Preis:                       (D) 24,00 €

 

 

 

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.