Eine besondere Begegnung

Nicht mehr und nicht weniger verspricht der Roman „Olga“ von Bernhard Schlink zu werden. Eine Begegnung mit deutscher Geschichte, politischem Größenwahn und einer großen Liebe gegen alle gesellschaftlichen Konventionen.

„Sie macht keine Mühe, am liebsten steht sie und schaut.“ (S. 7)

Mit diesem Satz beginnt der Roman und macht damit von Anfang an deutlich, hier steht eine Person aufgeweckt, wissbegierig und selbstbewusst. Jemand, der sich nicht so einfach unterkriegen lässt. Eine Kämpfernatur, die fragt und hinterfragt. Olga, die namensgebende Hauptfigur aus Bernhard Schlinks neuem Roman.

Olga wächst in ärmlichsten Verhältnissen in der preußischen Provinz auf. Früh versterben die Eltern und so nimmt sie die strenge Großmutter auf. Doch Olga stellt sich ihrem scheinbar vorbestimmten Schicksal entgegen, kämpft hart für ihre Träume von Bildung und Unabhängigkeit.

Bereits in frühester Jugend begegnet sie Herbert, Spross aus reichem Gutsbesitzerhause. Was als Freundschaft beginnt entwickelt sich nach und nach zu einer tiefen Zuneigung und später zu Liebe.

Doch Herbert ist ein Gefangener seiner Zeit. Beseelt vom preußischen Imperialismus eines Otto Bismarcks, ist er auf der permanenten Suche nach Herausforderung und Abenteuer, sehnt sich nach der grenzenlosen Weite der Welt. Verzehrt sich nach Größe und Heldentum. Ein endlos Getriebener. Doch sein nahezu schon zwanghaftes Streben nach „Mehr“ ist von vornherein zum Scheitern verurteilt und so verliert sich seine Spur – nach überstandener Wüsteneroberung in Deutsch-Südwest und Reisen durch Argentinien, Brasilien, Sibirien – in den arktischen Weiten des Südpols.

Jahre später begegnen wir Olga als alter Frau wieder. Taub steht sie als Näherin in den Diensten einer Pastorenfamilie in Heidelberg. Eine besonders enge Verbindung pflegt sie zu deren Sohn Ferdinand, ein Kind der 68-er, ihm erzählt sie ihre bewegte Geschichte.

„Olga“ besticht nicht nur durch ihre Prosa, sondern lebt auch von ihrem kongenialen Aufbau, der einen, erst einmal in der Geschichte angekommen, das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt.

Da ist die Liebesgeschichte zwischen Olga und Herbert, der Ich-Erzähler, der sich erst im zweiten Teil dem Leser offenbart und diese wunderschönen Liebesbriefe von Olga an Herbert. Brief, die ein Leben überdauern. Zeugnisse einer großen, die Zeit, alle Grenzen und Konventionen überwindenden Liebe.

„Olga“ ist der neunte Roman aus der Feder von Bernhard Schlink. Bereits in den frühen 90-zigern machte sich der gelernte Jurist (zu Beginn noch gemeinsam mit seinem Freund Walter Popp)einen Namen mit seinen unvergessenen Romanen rund um den Privatdetektiven Gerhard Selb. 1995 dann erschien der Roman „Der Vorleser“, der seinen Weltruhm begründete.

Die Biografie des Autors spiegelt sich in seinen Romanen wieder, dient als Inspiration und Orientierungspunkt zugleich, so auch in „Olga“, der über weite Strecken in seiner Heimatstadt Heidelberg angesiedelt ist.

Schlinks ganz besondere Stärke: Komplexe Themen einfach aufzubereiten. Schreiben gegen das Vergessen, Erinnern ohne den anklagenden Zeigefinger zu erheben und das stete Ringen um Recht und Gerechtigkeit, dies zeichnet Schlinks bisheriges Werk aus.


Foto: Alberto Venzago / © Diogenes Verlag

Bernhard Schlink

Bernhard Schlink, geboren 1944 bei Bielefeld, ist Jurist und lebt in Berlin und New York. Der 1995 erschienene Roman „Der Vorleser“, 2009 von Stephen Daldry unter dem Titel The Reader verfilmt, in über 50 Sprachen übersetzt und mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, begründete seinen schriftstellerischen Weltruhm.

 

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