Ein faszinierendes Schauermärchen

©Diogenes Verlag

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Das Märchen von „Blaubart“ hat seit jeher die Fantasie der Menschen beflügelt. Die Geschichte vom reichen, aber unansehnlichen Edelmann mit dem blauen Bart, der auf der Suche nach einer neuen Frau ist, da seine bisherigen Ehefrauen alle auf rätselhafte Weise schnell nacheinander verstorben und verschwunden sind hat schon immer die Gemüter erregt und fasziniert. Es ist wohl die drohende Gefahr, dieser unterschwellige Grusel, die leichte Gänsehaut, die diesem Märchen aus dem 17.Jahrhundert eine solche Sogwirkung verleihen.

So wundert es auch nicht, dass sich schon zahlreiche Künstler von dem Motiv des Blaubarts haben inspirieren lassen, zuletzt die belgisch stämmige Autorin Amélie Nothomb, die in ihrer französischen Wahlheimat bereits Kultstatus besitzt. Ihre Blaubartadaption unterscheidet sich jedoch in so manchem Punkt von der klassischen Vorlage.

So ist ihre männliche Hauptfigur zwar reich, aber nicht hässlich. Don Elemirio Nibal y Milear, so der klangvolle Name dieses Blaubarts, ist alles andere als unattraktiv. Ein spanischer Edelmann mit Hang zu gutem Essen und schönen Frauen. Ein Mann, der das Leben genießt und trotzdem Gesellschaft meidet, so hat er seit 20 Jahren das Haus nicht mehr verlassen. Eine Mischung aus Don Juan und Don Quixote, der sich der Leidenschaft für die Fotografie verschrieben, ein Auge für Ästhetik und Schönheit hat. Auch sucht er keine Frau, sondern eine Untermieterin. 8 Damen hat er bereits beherbergt, alle wurden nie wieder gesehen, sind auf rätselhafte Weise verschwunden. Hier folgt die Autorin der Vorlage. Doch schon bei der Frauenfigur weicht sie wieder ab. So ist die 25-jährige Saturnine Puissant, alles andere als unbedarft. Von Beginn an weiß sie um die drohende Gefahr, nimmt sie bewusst in Kauf, alles für ein günstiges, komfortables Zimmer mitten in Paris. Sie fühlt sich der Lage und Don Elemirio gewachsen, gilt es doch nur eine Regel zu beachten: Nicht die Dunkelkammer des Hausherren zu betreten.

„Der Raum ist absolut tabu. Wenn Sie hier eindringen, werde ich es merken, und es wird Ihnen leidtun.“(So Don Elemirio auf S. 11.)

Kein Problem denkt sich Saturnine. Doch wird sie auf Dauer der Versuchung widerstehen können? Die weibliche Neugier besiegen? Und ist sie immun gegenüber den Avancen des attraktiven Junggesellen?

Mit Nothombs Version des Märchens ist „Blaubart“ im 21. Jahrhundert angekommen. Mit viel Witz und Humor spielt die Autorin souverän mit dem Motiv des altbekannten Märchens. In scharfzüngigen, geistreichen und unterhaltsamen Dialogen dürfen wir hier auf knapp 144 Seiten Zeugen des unerbittlichen Kampfs von Verstand gegen Gefühl werden. Ein Kampf, den die junge Saturnine nicht nur mit Don Elemirio führt, sondern und vor allem anderen auch mit sich selbst. „Blaubart“ bietet eben viel Stoff, um menschliche Abgründe darzustellen. Ob Saturnine am Ende ihren ganz persönlichen Kampf gewinnen wird und Don Elemirio wirklich der Sadist ist, für den ihn alle halten? Nun, das sind die zwei zentralen Fragen, um die sich dieser spannende kleine Roman dreht und die den Leser immer weiter vorantreiben in der Handlung. An einer Stelle des Buches lässt Nothomb denn auch Saturnine sagen:

„…Vor kurzem gab es einen Weltbestseller mit netten harmlosen Vampiren. Nie sind die Leute zufriedener, als wenn man ihnen erzählt, dass das Böse nicht existiert. Nein, nein, die Bösen sind gar nicht richtig böse, auch sie werden nur vom Guten verführt. Was sind wir nur für degenerierte Idioten, dass wir solche billigen Theorien fressen und mögen!“ (S. 109)

Und ehrlicherweise erwischt man sich auch selbst immer wieder während des Lesens bei dem Gedanken, ja, der stillen Hoffnung, möge dieser Roman doch gut ausgehen. Ob er dies tut, Nothomb uns hier auch mit so einer „billigen Theorie“ abspeist, das gilt es eben herauszufinden und soll auch nicht verraten werden. Der Weg dorthin ist auf jeden Fall ein absolut prickelndes Lesevergnügen. Prickelnd wie Champagner, Nothombs absolutes Lieblingsgetränk, dem auch in diesem Buch eine bedeutende Rolle zukommt. Wie Saturnine so schön auf S. 42 zu Don Elemirio sagt:

„Wozu ist man reich, wenn nicht, um den allerbesten Champagner zu trinken? Und gerade Sie, der so besessen ist vom Gold, wissen nicht, dass Champagner dessen flüssige Form ist?“ (S. 42)

Wer möchte dem schon widersprechen. Darauf erst einmal ein perlendes Glas stimmungsvolle Perfektion.

060

Roman, Taschenbuch, 144 Seiten
Erschienen im Juni 2015

ISBN 978-3-257-24317-8
unverb. Preis: €(D) 9.90

 

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